Lehrfahrt der Landessieger

Drei Tage im Herzen Europas

Vom 08. bis 10. November luden die Landjugendverbände Rheinland-Nassau und RheinhessenPfalz die Landessieger im Berufswettbewerb der deutschen Landjugend zu einer abwechslungsreichen Lehrfahrt ein. 14 junge Landwirt/innen und Winzer/innen nahmen an der Fahrt teil.

Es ist eine schöne Tradition der AG der Landjugendverbände in Rheinland-Pfalz, die Landessieger des Berufswettbewerbs der deutschen Landjugend in Anerkennung ihrer Leistungen zu einer fachlichen Lehrfahrt einzuladen. Dieses Mal fand diese vom 08. bis 10. November statt und ging nach Brüssel. Die Fahrt bot eine einzigartige Gelegenheit für 14 junge, talentierte Landwirte und Winzer aus Rheinland-Pfalz, den eigenen Horizont zu erweitern und sich auszutauschen.

Erster Tag: Schopphof und Dagernova

Erste Station war die Besichtigung des Schopphofs in Esch, ein landwirtschaftlicher Betrieb, der seit über 50 Jahren als Familienunternehmen im nördlichen Rheinland-Pfalz betrieben wird. Auf den Ackerflächen werden u.a. Winterweizen, Wintergerste, Raps, Zucker- und Futterrüben, sowie Kartoffeln angebaut. Daneben hält der Betrieb Rinder und Hühner, deren Futter rein aus Eigenproduktion stammt und deren Fleisch und Eier in Direktvermarktung im eigenen Hofladen angeboten werden. Stefan Schopp führte die Landjugendlichen durch die verschiedenen Anlagen des Hofes. Zunächst ging es in den Rinderstall. Die Teilnehmer/innen bekamen einen Einblick in die Praktiken der nachhaltigen und tiergerechten Landwirtschaft, die der Hof vertritt. Die Zutraulichkeit der Tiere zeigte deutlich, dass es den Tieren hier gut geht und sie keine Berührungsangst mit Menschen haben. Gleich nebenan waren die Hühner untergebracht, die auch ein weiträumiges Freilandareal zur Verfügung haben und natürlich auch gerne nutzen. Interessant war hier vor allem die Sortier- und Packanlage des Hofes, in der die Eier nach Größe und Farbe sortiert und abgepackt werden, um dann direkt an Hofladen und Endkunden geliefert zu werden. Der Hof engagiert sich zudem beim außerschulischen Lernangebot „Lernort Bauernhof“ und bietet Schulklassen die Möglichkeit, Landwirtschaft entdecken und begreifen zu können.

Anschließend ging es zur Dagernova Weinmanufaktur der Ahr Winzer eG mit ihren zwei Standorten in Bad Neuenahr und Dernau, jeweils mit einem Kelterhaus sowie Tanklager und Fasslager. Die Genossenschaft hat ca. 600 Mitglieder, hiervon ca. 400 aktive Mitglieder. Sie bewirten 150 ha Fläche, durch die Flutkatastrophe im Sommer 2021 sind aktuell jedoch „nur“ 136 ha im Ertrag. Sie erzielen eine Jahresproduktion von ca. 1,3 Millionen Litern. Der Fokus liegt auf Spätburgunder, der 62% der Reben ausmacht. Anderen Sorten wie Riesling und Grauburgunder gehören jedoch ebenso zur Angebotspalette. Bemerkenswert sind die verschiedenen Weinlinien – von „Basis“ für täglichen Genuss bis hin zu „Kult“ für exklusive Lagenweine. Hauptabsatzwege sind der Endverbrauchermarkt, innerhalb dieses Weges dominiert der Online-Handel aktuell stark. Die Vinotheken sind der zweitgrößte Absatzweg und auch im Lebensmitteleinzelhandel sind die Weine im Verkauf.
Kevin Bertram, Kellermeister der Genossenschaft, empfing die Gruppe und führte durch den Standort in Bad Neuenahr. Verarbeitung (Filtration, Füllung etc.) sowie die Logistik und der Versand finden komplett hier statt.
Im Kontrast dazu steht der historische Keller in Dernau. Hier empfing Horst Bertram die Gruppe. Während in Bad Neuenahr alle Weine in Edelstahlfässern gelagert werden, sind die historischen Keller dank der höheren Luftfeuchtigkeit ideal für die Lagerung der Holzfässer geeignet. Hier war die Geschichte und das Erbe, die in diesen alten Mauern stecken, noch deutlich zu spüren. In schönem Ambiente wurde eine kleine Weinprobe geboten, bei der die Teilnehmer/innen die Möglichkeit hatten, die Vielfalt der Ahr-Weine zu schmecken. Danach ging es weiter nach Brüssel, wo der Tag bei einem gemeinsamen Abendessen ausklang.

Zweiter Tag: Deutscher Bauernverband, EU-Parlament und Stadtführung

Der zweite Tag stand ganz im Zeichen Europas und der Europäischen Gemeinschaft. Erste Station war die Vertretung des Deutschen Bauernverbandes in Brüssel. Dort wurde die Gruppe von den Referenten Florian Dalstein, Julia Hammermeister und Stefan Meitinger empfangen. Sie boten den jungen Landwirt/innen und Winzer/innen die seltene Gelegenheit, einen tiefen Einblick in die Politikgestaltung auf EU-Ebene zu erhalten. Die Gesetzgebung im Europäischen Parlament folgt einem mehrstufigen Prozess, der darauf abzielt, die Interessen der Mitgliedstaaten und Bürger der Europäischen Union (EU) zu berücksichtigen. Ein zentraler Bestandteil dieses Prozesses ist der sogenannte „Trilog“, bei dem das Europäische Parlament, der Rat der Europäischen Union und die Europäische Kommission zusammenarbeiten. Herr Dalstein beleuchtete den Weg vom Entwurf zum Gesetz und erklärten die Rolle des Bauernverbandes in diesem komplexen Gefüge. So sind die Ressorts der einzelnen EU-Kommissare nicht unbedingt immer auch deren Fachbereich, genauso wenig können sich die 705 Abgeordneten tiefergehend mit den dutzenden Gesetzesvorschlägen befassen, die ihnen vorgelegt werden. Daher werden immer auch Experten eingebunden, die Abgeordnete und Gremien bei der Überarbeitung von Gesetzesvorschlägen beraten. Der Deutsche Bauernverband steht in agrarpolitischen Fragen als kompetenter Ansprechpartner zur Verfügung und vertritt die Interessen der Landwirte und Winzer in Deutschland und ganz Europa.
Dieser Vortrag bot den jungen Fachleuten wertvolle Einblicke in die politischen Prozesse, die ihre tägliche Arbeit und die Zukunft der Landwirtschaft unmittelbar beeinflussen. Durch diese Erfahrung konnten die Teilnehmer ihr Verständnis für die Herausforderungen und Chancen in der Agrarpolitik erweitern und gewannen wichtige Erkenntnisse für ihre berufliche Praxis. Die angeregte Diskussion im Anschluss zeigte deutlich, dass die junge Generation von Landwirt/innen und Winzer/innen sich für die eigene, aber auch die Zukunft ihres Berufsstandes eingehend informieren und einsetzen.

Direkt daran anknüpfend fand eine Führung durch das EU-Parlament mit einleitendem Vortrag statt. Der Vortrag bot einen Einblick in die Geschichte der Europäischen Union, wobei ein besonderes Augenmerk auf die Rolle Deutschlands gelegt wurde. Die Präsentation beleuchtete, wie Deutschland, aus den Trümmern des Zweiten Weltkriegs kommend, zu einem zentralen Akteur und Befürworter der europäischen Integration wurde. Die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl im Jahr 1951 und später die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft im Jahr 1957 wurden als Schlüsselmomente hervorgehoben, die den Weg für ein vereintes Europa ebneten. Besonders betont wurde Deutschlands Engagement für die Stärkung der europäischen Einheit und Zusammenarbeit, die bis heute eine tragende Säule der EU-Politik darstellt. Ein kurzer Blick in den Plenarsaal des Parlaments durfte natürlich bei der Besichtigung nicht fehlen. Im Anschluss hatten die Teilnehmer der Lehrfahrt die Gelegenheit, ein Gespräch mit dem Mitglied des Europäischen Parlaments (MdEP) Peter Jahr zu führen. Peter Jahr, selbst Landwirt, hat einen umfassenden Hintergrund in der Agrarpolitik und ist für sein Engagement in landwirtschaftlichen Themen innerhalb des Parlaments bekannt. Er teilte wertvolle Einsichten und Erfahrungen aus seiner Zeit in Brüssel. Er betonte deutlich, dass Abgeordnete des Europäischen Parlaments mit der Intention antreten, zum Wohl der Gemeinschaft zu handeln, und nicht, um jemandem zu schaden. Auch wenn es manchem so erscheinen mag, haben Abgeordnete bei der Gesetzgebung nicht im Sinn „Den Landwirten machen wir mal das Leben schwer“. Er räumte jedoch ein, dass trotz bester Absichten oft ein Mangel an spezifischem Fachwissen herrscht und Gesetzesentwürfe nach diversen Überarbeitungen am Ende nur noch den kleinsten gemeinsamen Nenner beinhalten oder gar in sich widersprüchlich sein können. Als jemand, der selbst eine starke Verbindung zur Landwirtschaft hat, unterstrich er die Bedeutung von Praxiserfahrung in der Politik und wünschte sich z.B. auch mehr ArbeitNEHMER in der Politik. Er ermutigte die jungen Landwirt/innen und Winzer/innen, sich politisch zu engagieren und betonte, dass ihre praktischen Kenntnisse und Erfahrungen in der Landwirtschaft eine unverzichtbare Perspektive in politischen Diskursen darstellen.


Danach ging es auf Entdeckungstour im Rahmen einer Stadtführung mit dem erfahrenen Guide Franz „Jos“ Keunen. Jos, der Brüssel „wie seine Westentasche“ kennt, führte die Gruppe im Bus durch die lebendige Hauptstadt Belgiens, wobei er zu jeder Sehenswürdigkeit eine spannende Anekdote parat hatte. Die Tour umfasste beeindruckende Attraktionen wie die Residenz des Königs, ein Symbol der königlichen Präsenz in der Stadt oder den Triumphbogen, der unserem Brandenburger Tor enorm ähnlich sieht. Er erzählte auch von der Geschichte der Stadt, den Menschen, den drei gesprochenen Sprachen und vielem mehr, was Brüssel zu dem macht, was es ist. Ein Höhepunkt der Stadtrundfahrt war das berühmte Atomium, ein architektonisches Meisterwerk und Wahrzeichen Brüssels, wo die Gruppe für ein Erinnerungsfoto Halt machte. Das Atomium ist eines der ikonischsten Wahrzeichen Brüssels und wurde ursprünglich für die Weltausstellung Expo 1958 erbaut. Es symbolisiert ein Eisenkristallmolekül, das um das 165-fache vergrößert ist, und steht für den Frieden unter den Nationen, den wissenschaftlichen Fortschritt und die Zukunftsaussichten im Atomzeitalter. Das Atomium sollte ursprünglich nur temporär existieren, wurde aber aufgrund seiner Beliebtheit und ikonischen Bedeutung als dauerhafte Struktur erhalten.

Die Tour endete am Grand Place, einem der beeindruckendsten historischen Plätze Europas, umgeben von opulenten Gebäuden, die mit raffinierten Lichtinstallationen in der Abenddämmerung noch schöner anzusehen waren. Hier findet sich auch die berühmten Galerie mit ihren Boutiquen und Chocolaterien. Diese faszinierende Tour durch Brüssel bot den Teilnehmern nicht nur einen Einblick in die reiche Geschichte und Kultur der Stadt, sondern auch eine willkommene Abwechslung und Entspannung nach den intensiven fachlichen Programmpunkten des Tages.

 

Dritter Tag: Wijnkasteel Genoels-Elderen und Frutania GmbH

Am dritten Tag ihrer Lehrfahrt besuchten die Teilnehmer das Wijnkasteel Genoels-Elderen in Riemst, das einzige Weinschloss Belgiens, gelegen zwischen Tongeren und Maastricht entlang alter römischer Straßen. Dieses Weingut, das auf eine lange und reiche Geschichte zurückblickt, wurde 1990 von der Familie van Rennes wiederbelebt, die die jahrhundertealte Weinbautradition in der Gegend erneuerte. Heute erstreckt sich das Weingut über 25 Hektar und ist damit das größte in Belgien, wobei es jährlich etwa 15.000 Besucher empfängt.

Die Führung durch das Wijnkasteel bot den Teilnehmern Einblicke in den Park, die Weinberge, einen Rosengarten, die Brennerei, das Presshaus und die Keller, die bis ins 13. Jahrhundert zurückreichen. Die Geschichte des Weinguts und die Weinherstellungstradition in dieser Region sind eng mit der römischen Geschichte und der späteren mittelalterlichen Periode verbunden, in der die Weinproduktion eine bedeutende Rolle spielte. Das Schloss selbst, mit seinen Wurzeln im 13. Jahrhundert, trägt eine ebenso faszinierende Geschichte, geprägt von Zerstörungen und Wiederaufbauten. Die heutige klassizistische Konstruktion stammt aus dem Jahr 1859 und bietet mit ihrem französischen Garten und der von Versailles inspirierten Allee ein beeindruckendes Bild. Die Teilnehmer erlebten nicht nur eine Führung durch dieses historische Weingut, sondern bekamen auch eine kleine Weinprobe, bei der sie verschiedene Weine kosten konnten, die auf dem Wijnkasteel Genoels-Elderen produziert werden.

Der letzte Halt der fachlichen Lehrfahrt war bei der Frutania GmbH in Grafschaft, einem beeindruckenden Unternehmen, das sich seit seiner Gründung im Jahr 2001 zu einem der größten Arbeitgeber der Region und einem bedeutenden Lieferanten für den deutschen Lebensmitteleinzelhandel entwickelt hat. Frutania ist spezialisiert auf die Lieferung von Beerenobst, Spargel, Kern- und Steinobst, Tomaten und Gemüse und bezieht seine Produkte von über 150 landwirtschaftlichen Erzeugerbetrieben. Geschäftsführer Markus Schneider nahm sich persönlich für die jungen Besucher/innen Zeit und bot einen Einblick in die breite Produktpalette, die Struktur des Unternehmens und tägliche Arbeitsabläufe in dieser hochtechnisierten Logistik.

Im imposanten Hallenkomplex, der ca. 10.000 Quadratmeter umfasst, arbeiten in Spitzenzeiten über 120 Mitarbeiter in den Umschlags- und Verpackungsbereichen. Diese sind ganzjährig auf unter zehn Grad temperiert sind, um die Haltbarkeit der Waren zu erhöhen und eine schnelle und teilweise europaweite Verteilung der Produkte zu ermöglichen. Etwa 70 Prozent der Produkte, darunter Erdbeeren, Tomaten und Äpfel, stammen aus lokalem Anbau, während andere aus Ländern wie z.B. Marokko bezogen werden. Ein besonderer Fokus liegt bei Frutania auf Nachhaltigkeit: Bis zu 90 Prozent der Energie für die Hallenkühlung wird durch Solarkraft gewonnen. Die Qualitätssicherung beginnt bereits bei den Erzeugern und wird von eigenen Agraringenieuren kontrolliert, um die hohe Qualität der Produkte sicherzustellen​. Die schiere Größe, die moderne Technik und höchsteffizienten Arbeitsprozesse waren für die Teilnehmer/innen sehr beeindruckend und waren ein schöner Abschluss der dreitägigen Fahrt.

Die Landjugendverbände bedanken sich bei den Mitfahrern und wünschen allen noch viel Erfolg in ihren grünen Berufen. Sie können sich Peter Jahr nur anschließen: Engagiert euch, bringt euch ein, für euren Berufsstand und die ländlichen Räume.